Was hat es mit dem Gendern auf sich?
«Die Schweizer wollen…»: Nach einem Stimmsonntag sind lokale Zeitungen voll mit Schlagzeilen über die Ergebnisse. In vielen Fällen werden die Neuigkeiten sogar so angepriesen, als gäbe es das Frauenstimmrecht noch immer nicht. Bis anhin wurde vor allem der generische Maskulin verwendet. Man spricht zwar von Schweizern, meint damit jedoch die gesamte Schweizer Stimmbevölkerung. Jüngst ist darum auch in der Schweiz die Debatte zur gendergerechten Sprache immer grösser und lauter geworden.
Gendergerechte Sprache: Welche Auswirkungen hat Sprache auf Betroffene?
Anders als beispielsweise im Englischen wird in der deutschen Sprache zwischen den Geschlechtern unterschieden. Zur Beschreibung einer Gruppe mit männlichen und weiblichen Mitgliedern wird im Deutschen oftmals die maskuline Form verwendet. So zum Beispiel beim Ausdruck «die Wähler». Aus Sicht der Psycholinguistik ruft die Verwendung von maskulinen Substantiven und Pronomen beim Lesen jedoch nur einseitige – eben nur männliche – Bilder hervor.
Mit dem Aufkommen des Feminismus wird auch dieser Sprachgebrauch vermehrt hinterfragt. Grund dafür: Immer mehr Frauen fühlen sich nicht angesprochen, wenn der generische Maskulin verwendet wird. Doch für die Debatte über gendergerechte Sprache ist nicht alleine die feministische Bewegung verantwortlich. Die steigende Sensibilität für Geschlechterfragen spielt eine immer wichtigere Rolle und hat dem oft umstrittenen Thema erneut Aufschwung verliehen
Die Qual der Wahl: verschiedene Möglichkeiten zu Gendern
Ziel des «Genderns» ist es, dass ein Text sprachlich sowohl Frauen, als auch non-binäre Menschen direkt anspricht. Für diesen inkludierenden Sprachgebrauch gibt es unterschiedliche Möglichkeiten – samt Vor- und Nachteilen:
Inkludiert zwar Frauen, schliesst aber non-binäre Menschen aus.
Ist eher veraltet und nicht barrierefrei (d.h. der Screenreader spricht das Wort wie «Wählerinnen» aus). Binäre Personen werden so nicht sichtbar gemacht.
Nicht barrierefrei und kann den Lesefluss beeinträchtigen, repräsentiert aber alle Geschlechter.
Barrierefrei, platzsparend und stört den Lesefluss weniger als andere Gender-Sonderzeichen. Es wird jedoch argumentiert, dass es das binäre System unterstützt.
Die Lücke steht für geschlechtliche Variationen.
Offizielle und von der deutschen Rechtschreibung anerkannte Schreibweise, ist jedoch binär und stellt die weibliche Form nicht der männlichen gleich.
Spricht alle Geschlechter gleich an.
Spricht alle Menschen an, jedoch ist die Bildung sprachlich nicht immer möglich.
Wer «Gendert», wird abgestraft
Die meisten Veröffentlichungen finden heute online statt. Für eine gute Sichtbarkeit sollten die Artikel unter den ersten vier bis neun Suchergebnissen ranken. Welcher Artikel dort landet, entscheidet der Google-Algorithmus. Einfluss auf das Ranking des eigenen Artikels lässt sich jedoch mittels Suchmaschinenoptimierung (SEO) nehmen.
Aus eben dieser SEO-Sicht stellt sich vermehrt die Frage, inwiefern sich «Gendern» auf die Sichtbarkeit der Artikel auswirkt. Die Antwort: Texte mit gendergerechter Sprache ranken unter Umständen weniger gut.
Gendern und SEO: ist Google sexistisch?
Nicht wirklich. Google ist ein Algorithmus, der aus den Sucheingaben der User lernt. Und genau dort liegt der Hund begraben. Denn kaum jemand gibt heutzutage bei der Suche das generische Femininum oder eine gendergerechte Variante mit * oder : ein. Schliesslich soll die Suchanfrage schnell gehen.
Ohne diese Sucheingaben kann Google die gendergerechte Sprache zum heutigen Stand aber nicht lernen. Diese Faktoren führen langfristig dazu, dass Webseiten, die mit dem Sternchen oder dem Doppelpunkt gendern, schlechter platziert werden – sie werden quasi fürs Gendern abgestraft. Dass sich Google am User-Verhalten orientiert, bestätigte John Mueller, Senior Webmaster Trends Analyst bei Google in der Google SEO-Sprechstunde vom 10.06.2021. Sollten gendergerechte Begriffe in Zukunft häufiger gesucht werden, so würde Google darauf reagieren.
Dazu kommt, dass es für die gendergerechte Sprache keine festgelegten Regeln für die Verwendung gibt. Das liegt unter anderem daran, dass die Verwendung des generischen Maskulinums aus dem Sprachgebrauch und nicht durch die Grammatik entstanden ist. Deshalb ist Google derzeit nicht im Stande, gewisse Regeln zu hinterlegen.
Gendern – aber ohne abgestraft zu werden
Wer in seinen Artikeln trotzdem eine gendergerechte Sprache anwenden, dafür aber nicht abgestraft werden möchte, dem bieten sich dennoch vier Möglichkeiten:
Wird die Doppelform in einem Text zu oft verwendet, steigt die Keyword-Dichte – das kann von Google rasch als sogenanntes Keyword-Stuffing angesehen werden. Die Gefahr dabei ist, dass der Google-Algorithmus den Text nicht mehr als natürlich-sprachlich einstuft.
Bei Keywords wie «Kunden» ist die Doppelform jedoch relevant. Warum? Wird Kunden gegendert, geht die Grundform des Wortes verloren oder wird gekürzt. So fehlt beispielsweise bei der Schreibweise «Kund:innen» die Grundform «Kunde». Sofern neutrale Formulierungen wie «Kundschaft» existieren, können diese alternativ verwendet werden.
Dass zum Beispiel Wähler und Wählerin denselben Wortstamm haben, können Suchmaschinen heutzutage erkennen. Nichtsdestotrotz gibt es bestimmte – eigentlich eindeutige – Wörter, bei denen Google den Wortstamm nicht richtig zuordnen kann. Für Singular und Plural ordnet er dann zwei verschiedene Bedeutungen zu. In diesen Fällen funktioniert das Binnen-I nicht. Auch bei Anglizismen könnte es Probleme geben. Dafür unterschiedet sich die Pluralbildung im Deutschen und Englischen zu stark.
Zu Personenbezeichnungen gibt es in den meisten Fällen Alternativbegriffe. Zum Beispiel «Wahlen» anstelle von Wählerin. Bei der Auswahl gilt es das monatliche Suchvolumen zu prüfen. Ganz oft kommt es sogar vor, dass diese ein höheres Suchvolumen haben: Wahlen (3600) und Wählerin (n/a).
Wenn der generische Maskulin unausweichlich ist, bietet es sich zudem an, in die Begriffe zu variieren. So wird die Inklusion anderer Geschlechter im Text trotzdem berücksichtigt.